Montag, 25. April 2011

Soma 3

Ostern, 24. 04. 2011

Frohe Ostern allerseits! Vorgestern und besonders gestern hatten wir hier ein schlechtes Wetter. Es hat richtig gestürmt. Heute ist aber ein richtiges Osterwetter. Der Wind und der Regen legten sich völlig, und die Sonne scheint. Auch die gestrige Kälte ist verflogen.
Seit 1976 feiere ich zum ersten Mal Ostern ohne meine eigene Familie. Nach dem Gottesdienst in Kamakura bin ich nach Tokyo gefahren, um mit meinem Bruder Sushi zu essen, das ich in Kamakura gekauft habe. Für meinen Bruder ist es eine willkommene Abwechslung, weil das Essen in der Bezirks-Einrichtung zu wünschen übrig haben soll. Für ein Sushi, wofür man in Deutschland 15 Euro zahlen würde, zahlt man hier nur 5 Euro.
Die Schwierigkeit mit dem Japanisch habe ich dadurch gelöst, dass ich ein japanisches Notebook (natürlich privat) gekauft habe. So kann ich auch unterwegs - wie auch jetzt - jede 10 Minuten ausnutzen, wenn ich mit dem Zug reise. Die Internet-Verbindung ist immer noch ein Problem, aber nun ist es klar, dass es von der geographischen Lage abhängig ist. Denn Kamakura ist von den Bergen umgeben und nur die Südseite ist frei, weil dort das Meer liegt. Und logischerweise kommt die Internet-Welle vom Landesinneren. Ich habe eine wesentlich bessere Verbindung, wenn ich durch den nördlichen Tunnel fahre und in Kita(=Nord)-Kamakura bin.
Ausserdem habe ich ein kleines Gerät gekauft, um die SB-Karte meiner Kamera und das Notebook via USB zu verbinden, so dass ich ab jetzt Euch auch Fotos zeigen kann.
Inzwischen habe ich erfahren, dass ich bei einigen Wörtern in den letzten Berichten "L" und "R" verwechselt habe. So steigere ich die Echtheit meiner Berichterstattung aus "Japan".

Inzwischen hat Tepco den Arbeitsplan veröffentlicht, nach dem es noch 6 Monate dauert, bis die Auspuffung der Radioaktivität im Großen und Ganzen verhindert wird. Aber viele Fachleute sind ganz skeptisch, ob das möglich ist. Jedenfalls wird solange die radioaktive Wolke über die Umgebung fliegen. Das ist auch der Grund, warum einige Städte und Dörfer zusätzlich evakuiert werden. Nun ist auch ein grosser Teil von Minami-Soma betroffen. Ich sehe zwar keine Gefahr, wenn man sich ein Tag darin verweilt, aber für die Einwohner, die dort ständig leben müssen, ist es sehr belastend.
Nun setze ich die Geschichte von Soma fort. Als wir zu den Ruinen hinunterliefen, sahen wir eine Frau mit zwei Hunden herlaufen. Als sie sich uns zustieß, hat sie gleich angefangen zu erzählen. Ich war gerade dabei, die Gegend zu filmen. Als ihre Erzählung gleich tragisch zu werden begann, habe ich meine Kamera von ihr weggewandt. Denn ich habe kein Interview mit ihr vereinbart, und es wäre respektlos gewesen, wenn ich sie direkt gefilmt hätte.
Zunächst hat sie hauptsächlich mit Ryusuke gesprochen, während ich die Gegend filmte. Ein Satz, der mir auffiel, war, “Ich sollte nicht ständig weinen”. Dabei hat sie anschließend immer wieder geweint. Ihr Haus war weg, als sie von der Arbeit zurückkam. Sie suchte nach ihrem Kind und ihrer Mutter. Diese haben überlebt, aber zuerst konnte unsere Dame sie nicht finden. Ihre Mutter ihrerseits dachte, dass ihre Tochter tot sei. Zum Glück haben sie sich im Flüchtlingslager wiedergefunden. Nun ist unsere Dame von ihrer älteren Freundin aufgenommen worden. Aber ihr Kind ist nicht bei ihr sondern bei ihrem Bruder in einer anderen Präfektur, weil man die hohe Radioaktivität befürchtet hat und die Kinder dieser Gefahr nicht aussetzen wollte. Sie arbeitete an einer Fischerei, die vernichtet wurde. Es gibt keine Perspektive für sie. Die Mehrzahl der Schiffe in dieser Gegend wurden vernichtet. Ein Schiff der Fischerei kostet mehr als eine Million Euro. Viele haben den Kredit noch nicht fertig bezahlt. Selbst wenn sie noch ein Schiff haben, können sie in diesem radioaktiv verseuchten Meeresabschnitt nicht Fische fangen. Niemand kauft ihre Fische, selbst wenn sie sie außerhalb der Gefahrenzone fangen. Die Transporteure haben nichts zu transportieren, so dass sie die Mitarbeiter entlassen müssen. Es ist eine Kette der Elend. Unsere Dame haben viele Freunde/-innen verloren. Sie sagte, dass man schon viele Leichname gefunden hätte. Sie denke immer wieder, warum ausgerechnet sie überlebt hat. Es wäre besser gewesen, wenn sie gestorben wäre. Wir sagten, dass sie für ihr Kind leben stark leben sollte und dass es der Wunsch des Himmels ist, dass sie noch lebt, während viele Freunde/-inner gestorben sind. Es gibt immer noch einige, die nach ihren Partnern/-innen suchen. In diesem Berg vom Chaos suchen sie sie Tag für Tag mit einfachen Mitteln, mindestens ihre Leichname. Ja, das würden wir auch tun, wenn wir in ihrer Lage wären, nicht wahr?
Es hat mich beeindruckt und berührt, als ich ihr 10,000 JPYen (knapp 90 Euro) geben wollte. Hier erlaube ich mir folgende Anmerkungen: Ich bin hierher gekommen, nicht um einer Person, die mir persönlich gefällt oder nah steht, Geld zu geben. Denn alle Leidenden haben das Recht, unterstützt zu werden. Außerdem darf ich nicht mit der Haltung kommen, Almosen zu geben. Ferner darf ich nicht den Empfangenden den Eindruck aufkommen lassen, dass sie Almosen empfangen. Auf der anderen Seite habe ich von Euch den Wunsch gespürt, dass ich nicht hauptsächlich allgemein helfe, sondern konkret. Als ich ihre Elend sah und spürte, dass das Schicksal (der Himmel) uns zu dieser einmaligen Begegnung führte, habe ich mich spontan entschieden, ihr das Geld zu geben. Ich sagte ihr, dass ich in Deutschland die Spenden gesammelt habe und dass die deutschen Freunde von mir etwas Konkretes erwarten, und dass jetzt diese Gelegenheit gekommen sei. Sie hat fürchterlich geweint und wollte das Geld nicht empfangen. Selbst in dieser Elend fühlt sie sich nicht berechtigt, das Geld zu empfangen. Es war nicht so, dass sie zu stolz war, das Geld zu empfangen. Sie fühlte sich unwürdig. Offensichtlich spielte auch der Gedanke mit für diese Haltung, dass sie an andere Leidensgenossen/-innen dachte. Sie allein sollte nicht privilegiert sein. Ich wiederholte die Aussage, dass das Geld nicht von mir persönlich sondern von den Deutschen sei und dass diese Begegnung eine einmalige Gelegenheit ist. Sie hat den Geldschein dann doch empfangen, aber beim Abschied hat sie ihn aus der Jackentasche herausgeholt und wollte ihn Ryusuke zurückgeben. Ryusuke sagte ihr, dass es das Herzensgeschenk vieler Deutschen sei. Ich sagte, sie kann es mit anderen auch teilen. Am Ende bedankte sie sich sehr, und wir haben uns von ihr getrennt, um arbeiten zu gehen. Nach der Trennung von ihr sagte Ryusuke mir, das ist die wahre harte Wirklichkeit, die wir im Fernsehen nicht sehen. Ich habe mir mit Freude notiert, dass sie gesagt hat, dass es ihr besser geht, wenn sie mit anderen über das Leid spreche.

Nun waren wir kurz bei Frau Niizuma und nach einer Tasse Tee fuhren wir zur Bucht, Matsukawaura.
Das erste Haus gehörte Familie Sou, die aus Hiroshima hierher umgezogen war. Obwohl ihr Haus sehr nah am Meer war, ist es stehengeblieben. Allerdings kam das Wasser über 1 m hoch im Erdgeschoss, so dass sie in den 1. Stock fliehen musste. Das Erdgeschoss war mit zum Teil öligem Sand 10 cm dick überdeckt. Allerdings war der Sand größten Teils schon beseitigt mit der Hilfe von anderen. Denn Frau Sou ist zwar eine rüstige Anfang Sechzigerin, aber ihr Mann ist herzkrank und ihre Mutter ist schon sehr alt. Sie konnte schwere Möbel und Türen, die gereinigt werden sollen, nicht allein bewegen. In der Mittagspause haben wir einfaches aber gutes Essen bekommen, dem die Nachbarn etwas dazu beigetragen haben.
Das zweite Haus, das wir gereinigt haben, lag direkt am Meer. Da es stabil gebaut und noch ziemlich neu war, wurde sie nicht von den Wellen zertrümmert. Ein großes Schiff lag am Eingang des Hauses auf dem Kopf, so dass man um es herum gehen und durch die Seitentür ins Haus musste. Das Haus war an zwei Seiten mit den Bambusstangen und starke Schnüren umwickelt, die man für den Wakame-Seetang verwendet hat. Sie waren so stark verwoben, so dass wir große Schwierigkeiten hatten, sie zu beseitigen, womit wir leider nicht zu Ende kamen. Denn wir mussten wieder über 6 Stunden nach Hause fahren. Ich habe den internationalen Führerschein nach Japan mitgebracht, aber an diesem Tag habe ich ihn zu Hause vergessen, so dass die anderen Drei sich abmühen mussten. Es wäre auch etwas gefährlich gewesen, wenn ich kurz nach meiner Ankunft in Japan den Auto-Linksverkehr meistern sollte. Wir kamen gegen 0.30 Uhr wieder nach Hause. Es war praktisch 24 Stunden Einsatz.

Es ist wirklich bewunderbswert, dass Ryusuke diese strapaziösen Fahrten zwei Mal die Woche leistet. Am Osternsonntag war ich besuchte ich ihn im Bar Ram, weil er sonntags Dienst hat. Zufällig kamen auch seine Mutter und die Tante. Das sind sehr liebeswürdige und mutige Damen. Frau Okano sagte aber, dass sie schon etwas Sorge um Ryusuke hat wegen der Radioaktivität. Denn er sei noch jung und werde noch Kinder bekommen. Auch der jüngere Bruder von Ryusuke namens Teppei ist bei der Katastrophenhilfe als ein Mitglied von “Care”. Er ist zur Zeit dabei in Miyako die Flüchtlinge in die Fertigbauhäuser einzuweisen. Ich freue mich darauf, ihn dort zu treffen. Übrigens habe ich Frau Okano gesagt, dass Ryusuke in Deutschland schon etwas berühmt sei und viele ihn lieben. Sie sagte, auch eine blauäugige Braut ist willkommen :-)

Nun bin ich bei meinem ehemaligen Klassenkameraden Tomoichi Mitsuhashi. Gestern bin ich hierher gekommen, hier übernachtet und 4 Stunden gut geschlafen. Im Moment genügt das mir. Da ich leider den Aufladekabel für dieses Netbook in Kamakura vergessen habe, stelle ich dieses Mal noch keine Fotos. Dieser Bericht soll auch als meinen Ostergruß Euch erreichen und soll nicht zu spät werden. Ich freue mich nun auf den Einsatz in Miyako. Wir holen ein Leihauto, lade die Saschen, die die Damen der Kirche schon vorbereitet haben und fahren los. Ich schätze, wir brauchen 10 Stunden bis Miyako.

Übrigens möchte ich nicht versäumen zu erwähnen, dass die Volksbank Kirnau in Rosenberg freundlicherweise die Überweisungskosten übernommen hat. Vielen Dank!

Viele liebe Grüße aus Shirakomachi in der Chiba-Präfektur. Michael Daishiro Nakajima

Dienstag, 19. April 2011

Fortsetzung "Soma"

Mi. 20. 04. 2011 ab 9.04 Uhr Ortszeit (2.04 Uhr nachts in D)

Endlich habe ich eine günstige Netsverbindungsmöglichkeit herausgefunden und gestern ein „Pocket WiFi“ von Softbank gekauft, damit ich zu Hause in Ruhe schreiben kann. Allerdings ist diese Verbindung noch nicht optimal.
Auf die Gefahr hin, dass ich manches vielleicht wiederhole, schreibe ich über meine Aktivitäten. Denn ich muss jede freie Minute benutzen und kann nicht lesen, was ich schon geschrieben habe. Dabei ist meine Gedächtniskraft nicht mehr, was sie früher war :-).
Allen, die mir eMail schreiben, muss ich mich entschuldigen, denn diese Schwierigkeit mit der Nets-Verbindung und sehr viele Aufgaben hier erlauben mir nicht, häufig zu schreiben. Ich vertrete das Prinzip, „erst tun und später schreiben“.
Wie viele von Euch schon wissen, kam ich aus zwei für mich wichtigen Gründen hierher: Tod meiner Stiefmutter und Katastrophenhilfe. Wenn es um den ersteren geht, muss ich mich um das Haus und darum, was meine Stiefeltern hinterlassen haben, und um die Behördengänge allein kümmern, weil mein Halbbruder körperlich stark behindert ist. Gestern war ich bei ihm in Tokyo, die Möbel so zusammengerückt, wie er wollte, und führte ihn auf dem Rollstuhl zum Augenarzt. Das alles mache ich gern, aber ich wollte sagen, dass ich nicht so oft zum Schreiben komme, damit Ihr Geduld habt.
Übrigens schreibe ich weiterhin mit der Du- bzw. Ihr-Form, obwohl es scheint, dass mittlerweile viele, die ich nicht persönlich kenne, meinen Bericht zu lesen. Denn es ist nicht nur mühsam sondern auch unschön, jedesmal „Ihr/Sie“ oder „Euch/Sie“ zu schreiben mit der dazugehörigen Schrägstrich-Verdoppelung der Verb-Endungen. In dieser Hinsicht ist das Japanisch etwas leichter.

Bevor ich über unseren Besuch in Soma weiterschreibe, möchte ich einige Informationen vorschicken, weil viele danach fragen:
Dieses Jahr ist es in Japan etwas kühler als sonst. Deswegen waren die Kirschblüten auch verspätet, was mein Glück war. Am Ankunftstag konnte ich die vollen Blüten noch genießen, auch wenn schon einige grünen Blätter zu sehen waren. Draußen ist es in Kamakura etwa 12 bis 14 Grad Celsius am Tag. Gestern wehte abends kalter Wind. Die armen Leute in Tohoku (Katastrophengebiet) hatten schon wieder Schnee! In Soma waren die Kirschblüten voll im Gange. Die Natur bringt die Zerstörung, die Natur bringt die Pracht!
Von Kamakura bis Soma ist die Straßen-Entfernung etwa 450 km, in der Luftlinie vielleicht 320 km. Wir brauchen etwa mehr als 6 Stunden einfach. Heute wäre ich eigentlich auch mit nach Soma gefahren, um für die Leute in den Flüchtlingslagern „Takoyaki“ zuzubereiten und zu verteilen. Takoyaki ist ein kugelig zubereitetes Pfannen-Gericht mit Oktopus-Stücken darin. (Tako = Oktopus) Aber das Auto war schon voll mit jungen Helfern, so dass ich ihnen Vortritt ließ. Das war nicht schlecht, weil ich nun Euch schreiben kann und andere organisatorischen Dinge erledigen kann. Gestern nacht habe ich wieder nur 3 Stunden geschlafen, bin aber nicht ganz kaputt. Der Adlinarin-Stoß ist wohl sehr hoch.
Ryusuke fährt regelmäßig mittwochs und samstags nach Soma. Mal ist es hauptsächlich Arbeitseinsatz, mal Hilfsgütertransport. Am letzten Samstag waren sie kombiniert. Der Grund, warum er dorthin fährt, ist eine Bezugsperson, Frau Niizuma, die ein soziales Projekt für Äthiopien unternimmt, das „Fûtaro no Mori“ heißt. Fûtaro ist der Name einer kleinen Eule, die sie dort auf der Reise gefunden hat, und „Mori“ ist das jap. Wort für Wald. Sie fand eine kleine Eule verloren in der Gegend und wollte sie wieder in den Wald zurückgeben. Sie fand aber längere Zeit keinen Wald, so dass sie mit Fûtaro 10 Tage lang herumgereist ist. Endlich hat sie einen Wald gefunden und Fûtaro dort freigelassen. Das war der Anlass, dass sie angefangen hat, in Äthiopien Bäume zu pflanzen. Es gibt in Soma nun einen Freundeskreis für dieses Projekt, dessen einige Mitglieder auch von Tsunami attackiert wurden. Ryusuke hat sie kennengelernt, als er den Strand von Soma reinigend gewandert ist. So kann Frau Niizuma am Ort wohnend sagen, wer die Hilfe braucht. Es ist logisch, dass die Mitglieder, die sie unterstützen, zuerst daran kommen. Aber so haben wir einen konkreten Anhaltspunkt für die Hilfeleistung.
Im Rathaus von Soma arbeitet, wie gesagt, die Schwester des Mannes meiner Nichte, namens Asako Kida. Ich habe mit ihr dort nur einen telefonischen Kontakt gehabt, weil wir ganzen Tag beschäftigt waren und weil ich an die Mitfahrer gebunden war. Ich werde aber diesen Kontakt stärken, um noch effektivere Einsatzmöglichkeiten zu finden.
Das Binnenmeer heißt übrigens „Matsukawa-Ura“. Es hat – ganz grob gesagt – eine auf den Kopf gestellte L-Form. Man sollte „L“ rechts oder links herum 180 Grad drehen. Dann ist die Eckkante von „L“ rechts oben. Die beiden Striche sollte man dann verdicken und sie als Wasser betrachten. Am äußeren Rand des Senkrechtsstrichs ist ein ganz schmales Landstreifen, das das Binnenmeer vom großen Meer trennt. Oberhalb des kurzen Strichs gibt es eine Halbinsel, wo es das zweitgrößte Wohnviertel von Soma liegt. Jenseits dieser Halbinsel (Nordseite) ist wieder das große Meer. Es gab nur eine offene Stelle zum großen Meer in diesem Nord-Strich vom umgekehrten „L“. Sie ist etwa 1/3 von der Eckkante entfernt und von einer großen Brücke verbunden. Die Welle soll über diese Brücke übergeschwappt zu sein. Aber schlimm betroffen war der lange und schmale Nord-Süd-Landesstrich, der wie ein Mauer gegen das große Meer aussah. Tsunami hat nicht nur über dieses Landesstreifen übergeschwappt, sondern es für die Länge von 200 bis 250 m südlich von der Eckkante von „L“ unter sich begraben, so dass man diesen Teil nun als eine Lücke sieht. Deswegen wurde die Süd-Seite der Halbinsel stark betroffen, wo Minato Hoikuen (direkt übersezt: Hafen Kinderhort) fast am Ende des kurzen Strichs von „L“ liegt (vom großen Meer gesehen am weitesten hinten). Es war ein Riesenglück, dass er etwa 4 m höher als die Wasseroberfläche lag und nicht von vorne die Welle bekam.

Nun, nachdem wir die Sachen, die Ryusuke vorbereitet hat, im Kinderhort abgegeben haben, fuhren wir die Südseite der Halbinsel zunächst nach Osten (Richtung Eckkante vom umgekehrten „L“), um vor der Brücke nach Norden abzubiegen. Zunächst ging die Straße relativ steil hoch, so dass ich sehr erstaut war, dass es auch in der äußersten Höhe (etwa 25 m vom Meeresspiegel) zerstörte Häuser gab. Die Rätselslösung kam prompt, als wir noch 20 m weiterfuhren und auf der Höhe des Hügels angelangt waren. Da sah ich die völlige Zerstörung der Nordseite der Halbinsel. Es gab praktisch nur ein Haufen von Schutt und Schlott in der Größe von 800m x 450m. Man hat nur zwei Straßen frei gemacht. Eine geht dem großen Meer entlang und eine biegt nach Süden zu den Hügeln, wo die Wellen etwa 50m vor dem Haus von Frau Niizuma zum Stehen kamen. Es gab Warnungen, aber die Leute betrachteten diese als nicht so schnell bedrohlich. Sie kamen allmählich (sozusagen gemütlich) zu Fuß hoch in die Richtung vom Haus von Frau Niizuma. Ein Dutzend Leute wollten auf einem kleinen Hügel die Wellen sehen. Sie wurden schließlich von den Wellen erfasst.

Als wir gegen 9 Uhr am Haus von Frau Niizuma ankamen, haben wir sie nicht getroffen, so dass wir zu Fuß nach unten zum zerstörten Gebiet gelaufen sind. Ich wollte das alles auch mit einem Photoapparat und einem Videocamera fest dokumentieren, damit Ihr seht, wofür Ihr Hilfe geleistet habt und noch leistet. Übrigens hat unsere liebe Pfarrsekretärin, Frau Brigitte Schlander, sozusagen als die erste Portion schon über 22-tausend Euro in das Konto der hiesigen Kirche von Mobara überwiesen, das mein ehemaliger Schulkamerad Tomoichi Mitsuhashi für den Pfarrer verwaltet. Ein Drittel des Geldes wird jeweils Ryusuke und mir weitergeleitet und ein restliches Drittel verwendet Tomoichi Mitsuhashi für seine Tohoku-Hilfe, an der ich mich auch beteilige. Allerdings scheint die Hilfe in Miyako nicht zustande zu kommen, so dass Herr Mitsuhashi nun an Sendai denkt. Ich danke allen Spenderinnen und Spendern noch einmal sehr herzlich für diesen Einsatz für meine Landsleute.
Nun fotografierend und filmend wanderten wir an den zerstörten Häusern unten, wo ein Bagger gespenstisch und verloren den Schutt zu beseitigen versucht. Von unten sehen wir zwei Friedhöfe am Hang des Hügels. Das Wasser kam bis dorthin hoch. Einige Grabsteine wurden von der Welle fallen gelassen. Es sollen auch einige Leichname angeschwommen zu sein. Das ist wahrlich ein makabeles Bild. Im Großen und Ganzen sind die Friedhöfe wie der letzte Wall stehengeblieben, während viele unterhalb derer ihr Leben verloren haben.
Das Beeindruckenste an diesem ganzen Tag geschah danach. (Fortsetzung folgt)

Samstag, 16. April 2011

Die erste Nachricht aus Japan

Hallo zusammen,

 ich habe Euch warten lassen. Ich musste hier einige Verbindungen herstellen, damit mein privates und Tohoku-Unternehmen funktioniert. Vorweg möchte ich anmerken: hier habe ich meine liebe Frau nicht mitdabei, sie mein Deutsch korrigiert und verbessert. Also habt Nachsehen. Außerdem habe ich viel größere Schwierigkeit mit der Internetverbindung als ich dachte. Immerhin bin ich nun klar gekommen mit dem Laptop, das mein lieber Budo-Schüler und Freund Erwin Zipser (Solar Zipser) hier hinterlassen und mir zur Verfügung gestellt hat.
Nun am Mittwoch 13. 04. bin ich hier angekommen, am gleichen Tag Ryusuke Okano angerufen, am 14. 04. ihn getroffen zusammen mit einem jungen Mann, der auch die Tohoku-Hilfe mitmachen möchte. Am Samstag dem 16. 04. wurde ich nachts (morgens ganz furchtbar früh), nämlich um 01.10 Uhr von Ryusuke abgeholt. Nun beginnt mein erstes Tohoku-Hilfe-Projekt. Mit dabei ist Mikio (39) und Takuya (ca. 25). Die beiden sind die Freunde von Ryusuke. Mikio ist ein Programm-Direktor von NHK-Rundfunk und Takuya ist beschäftigt in der Stadt Kamakura, wo ich auch wohne, und kümmert sich um die Stadt-Zeitschrift. Unterwegs zeigte sich Mikio sehr interessiert für meinen Werdegang, für Kampfkunst und für Religion. Er hat viele Fragen gestellt und ich habe fleißig geantwortet, so dass die Schläfrigkeit schnell verflogen ist. Immerhin habe ich vorher 3 Stunden geschlafen. Unser Ziel ist Soma, ca. 50km nördlich von Fukushima I, der unrühmliche Berühmtheit in der ganzen Welt erhalten hat. Übrigens ist Fukushima eine Präfektur, deren Hauptstadt auch Fukushima heißt und etwa 60km nördwestlich von den Reaktoren entfernt ist. Hier ist die Radioaktivität verhältnismäßig hoch, wahrscheinlich deswegen weil diese Stadt wie im Kessel liegt, während Soma - obwohl sie näher an die Reaktoren liegt - relativ niedrige Radioaktivität aufweist.
Auf der Autobahn in die Nähe der Reaktoren kommend spüren wir die unsichtbare Drohung der Radioaktivität. Es ist ganz anders, ob man 10-tausen km entfernt die Bedrohung spürt oder nur 50km. Denn wir müssen westlich den Reaktoren vorbeifahren, um Soma zu erreichen. Das alt-gebrauchte Audi von Ryusuke, das er billig ergattert hat, wird auffällig unruhig an einigen Stellen. Ich dachte zuerst an die kleinen Schlaglöcher. Später erfuhr ich, dass einige Stellen etwas gesunken sind, so dass die Verbindungsstelle der Straßenbefestigungsblöcke kleine Stufen gebildet haben.
Nun kommen wir von der Autobahn weg. Wir fahren an Ryosen (Berg) vorbei, wo die Radioaktivität am stärksten ist abgesehen von der unmittelbaren Nähe der Reaktoren. Ryosen ist sonst ein Erholungsgebiet. An einem Schild heißt es "Willkommen im Ryosen-Kinder-Dorf". Welche Ironie! Was hinterlassen wir unseren Kindern?
Zunächst kommen wir zu einem Kinderhort "Minato Hoikuen" am Binnenmeer, dessen Namen ich leider kurz vergessen habe. Der (oder das?) Hort liegt nur 80m vom Binnenmeer entfernt, aber zum großen Glück ca. 4m höher als die vorgelagerten Häuser, die sehr stark beschädigt wurden. Das Wasser kam jedoch bis zum Vorgarten des Horts. Die Betreurinnen führten die Kinder übers Dach in das hintere Gebäude, habe ich gehört. Hier haben wir Wasser und einige Sachen abgegeben, die Ryusuke vorbereitet hat. Zum Kochen und Trinken für die Kinder brauchen sie 30L täglich. Obwohl das Wasser nur geringfügig erhöhte Werte zeigt und Soma offiziell kein Wasser von Auswärts nötig hat, gibt man hier den kleinen Kindern sicherheitshalber Wasser aus Bottle. Weiteres 96L Wasser ist aus Kyoto unterwegs, weil mein gut bekannter Tee-Händler Masahiro Takada es freundlicherweise organisiert hat. Die Bedarfsmenge habe ich erst hier erfahren. Jetzt kann ich Herrn Takada weiteres Wasser schicken lassen (mit unserem Spendengeld).
Die Ausräumearbeit an den unteren Häusern hat offensichtlich schon einige Fortschritte erzielt. Vor den Häusern liegen die zerstörten Möbel und andere Dinge vom Sand überdeckt. Das war aber nur der Anfang der Vernichtungsszene natürlich. Jetzt fahren wir auf die andere Seite der kleinen Halbinsel über. Unterwegs sehen wir auf dem Weg oder im Garten gestrandete Schiffe.
Nun muss ich den Snack verlassen, dessen junger Besitzer Herr Matsuoka Freund meines Sohnes Franziskus und seiner Frau Nadine ist. Hier kann ich glücklicherweise Wi-Fi benutzen und ins Internet gehen. Der Laden wird aber bald geschlossen. Vielleicht kann ich abends wieder kommen.  Viele liebe Grüße an Euch und Sie alle (Mittlerweile helfen auch viele Mitglieder der Kirchengemeinden der Seelsorgeeinheit Adelsheim-Osterburken(-Rosenberg)-Seckach und auch der evangelischen Kirchengemeinden Rosenberg. Vielen herzlichen Dank an alle! )





In die 

Sonntag, 10. April 2011

Noch ein paar Matsushima-Bilder

Matsushima heißt übrigens Kiefer(matsu)-Insel(shima).

Der Vorhof des Zuiganji (Zen-Tempel)
Überall Kiefer


























Anmerkungen

  • Die Spenden, die auf mein Konto eingegangen sind und noch eingehen, wurden bzw. werden an das Konto des katholischen Pfarramtes Rosenberg weitergeleitet. Wie schon bekannt gegeben, wird das Geld von dort zuerst auf das Konto der Gemeinde Mobara in Japan weitergeleitet und von dort an die Konten von Ryusuke Okano und mir für unsere Projekte. Ein Drittel des Geldes verwendet die Kirche Mobara für ihre eigene Tohoku-Hilfsaktion, in der einer meiner ehemaligen Klassenkameraden hauptsächlich Verantwortung trägt und die ich selbst auch begleiten werde.

  • So kann nun allen eine Spendenbescheinigung ausgestellt werden, sofern sie möchten. Bitte schreibt meiner Frau (susanne.nakajima(at)googlemail.com) kurz: z.B. "Ich möchte Bescheinigung für die Spende von ..... Euro für Japan am Tag, Monat, 2011" (damit wir leichter in den Bankdaten nachschauen können), mit Name und Adresse. Diejenigen, die uns direkt Geld bar ausgehändigt haben, können auch die Bescheinigung erhalten, weil wir alle Namen notiert haben. Wir danken den Pfarrern in beiden Kirchengemeinden sehr, dass Sie uns die Möglichkeit gegeben haben, über die Gemeindekonten zu gehen, und die Aktion tatkräftig unterstützen.

  • Die Spenden können auch während und nach meinem Aufenthalt in Japan weiter an das Konto des Rosenberger Pfarramtes überwiesen werden, weil sie auch in diesem Fall nach Japan weitergeleitet werden, wo wir Bezugspersonen haben, die konkrete Hilfstransporte unternehmen. Der Wiederaufbau wird Monate, wenn nicht Jahre, dauern. Bitte nicht vergessen: Verwendungszweck „Japanhilfe“.

Vielen herzlichen Dank noch einmal für die schon geleistete und noch kommende Unterstützung für die Linderung des Leidens in der Katastrophengegend in Tohoku / Japan.

Donnerstag, 7. April 2011

Zum Titelbild

Im September 2010 war ich hier, in Matsushima, eine der 3 schönsten Landschaften in Japan, sagt man. Matsushima liegt etwa 25 km nordöstlich von Sendai, die in der gleichen Höhe des Breitengrades wie das Epizentrum liegt. Wie sehen die Zig-Inseln nun aus? Man sagte mir, sie hätten ihre Formen geändert. Vielleicht gehe ich wieder dorthin. Manche erinnern sich wohl an das Lied, das ich oft gesungen habe: "Matsushima no sayo Zuiganji hodo no, Tera mo nai toe, arewa eh eto soda, Dairyo dae." Ja, der berühmte Zen-Tempel Zuiganji ist auch hier, nur 200 m vom Meer entfernt, sein Eingangstor sogar nur 100 m höchstens. Das ist ein Fischerlied und besingt einen großen Fischfang. Haben die Fischer wieder angefangen zu fischen?

Info 3

Japan-Katastrophe Rundmail Nr. 3        06. 04. 2011

Liebe Freunde/-innen,

Das Echo ist sehr groß. Ich bin begeistert und sehr dankbar für Eure Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft. Viele erzählen es weiter und schicken meine Mail an Freunde und Bekannte weiter. Schon sind mehr als 10.000,- € Spendengelder überwiesen worden. Auch in Japan selbst spenden meine ehemaligen Klassenkameraden für meine Aktion, obwohl sie schon viel anlässlich dieser Katastrophe gespendet haben. Drei von ihnen wollen sogar mit mir in das Katastrophengebiet fahren. Es ist wie ein Lauffeuer. Viele haben offensichtlich auf solche konkrete Hilfsmöglichkeit gewartet.

Ich habe eine Google-Mailing-Liste erstellt, weil ich von Japan aus Bericht erstatten möchte. Durch diese Liste wird das Rundmailen einfacher. Voraussetzung ist aber, dass Ihr Euch mit der Eintragung in diese Liste einverstanden erklärt, nachdem die Einladung Euch schon erreicht haben müsste. Wenn Ihr jemanden kennt, der auch mit in die Liste möchte, dann sagt ihm bitte, er soll mir kurz Bescheid geben. Diesmal schreibe ich noch einmal an die Gruppenadressen von Shinkiryu Aiki Budo und dem Ganztagsgymnasium Osterburken sowie meinen Verwandten, weil die Mailingliste noch nicht komplett ist. Bitte, gebt auch diese Mail an diejenigen weiter, an die Ihr meine letzte Mail geschickt habt. Danke für Eure Bemühungen!
Ich habe auch einen Blog erstellt: http://www.chocobrain.com/my Hierin schreibe ich aus Japan. Aber was ich bis jetzt geschrieben habe, werde ich hier veröffentlichen.

Mittlerweile hat die Nachricht über unsere Hilfsaktion auch die hiesigen Kirchengemeinden erreicht, so dass sie einen noch offizielleren Charakter bekommen hat. Ab jetzt können die Spender an das Konto der Pfarrei Rosenberg überweisen, ohne fürchten zu müssen, das Geld verschwinde irgendwo in die Kirchenkanäle. Denn dies kam durch das Wohlwollen der hiesigen Geistlichen zustande, damit ich vor Verdächtigung durch Polizei oder Finanzamt geschützt bin und/oder damit nicht ein beträchtlicher Teil als Steuer eingezogen wird. Die ganze Spende wird Ryusuke Okano und mir zur Verfügung gestellt für unsere Katastrophenhilfe. Die Bankverbindung lautet: Pfarrei Rosenberg, Konto-Nr. 16250, BLZ 674 617 33, Volksbank Kirnau. Als Verwendungszweck schreibt bitte „Japanhilfe“.

Am 12. April werde ich nach Japan fliegen und bis 31. Mai (7 Wochen) dort bleiben. (Deswegen kann die Spende auch nach dem 12. April überwiesen werden.) Insgesamt ca. 4 Wochen davon könnte ich für die Hilfsaktion verwenden.

Es ist nun auch fest geregelt worden, dass ich mindestens einmal mit Ryusuke zusammen in das Katastrophengebiet fahren werde. Das wird wahrscheinlich Minami(=Süd)-Soma-City ca. 25-30 km nördlich von AKW Fukushima 1 sein. Trotz der großen Nähe zum AKW ist der Strahlenmesswert ziemlich niedrig. Nichtsdestotrotz wollen viele Helfer nicht in dieses Gebiet hinein, so dass die Leute auf Hilfe von außen sehnlichst warten. (Hier der Hilferuf des dortigen Bürgermeisters. Am Anfang kommt was anderes, aber nach 10 Sekunden sieht man sein Gesicht: http://tv.repubblica.it/dossier/giappone-terremoto-tsunami/il-sindaco-giapponese-chiede-aiuto-moriremo-di-fame/65405?video=&pagefrom=1&ref=HREC2-8) Ryusuke war schon dort mit Medikamenten usw..
Es könnte natürlich auch Wiederholungen mit ihm geben, aber ich werde auch mit einem meiner ehemaligen Klassenkameraden namens Hiroji Arai im Gebiet von Sendai agieren. Sendai liegt etwa im gleichen Breitengrad wie das Epizentrum. Hier ist der Einfluss der Radioaktivität viel geringer, aber die Zerstörung viel größer. Es muss noch unglaublich viel Aufräumarbeit geleistet, um die Flüchtlinge gekümmert und Hilfsgüter transportiert werden. Manchmal bekommt man hier den Eindruck, dass die so hoch technisierten Japaner ausgerechnet hier nur langsam arbeiten würden. Es ist aber ein Irrtum, wenn man denkt, dass man alles mit Baggern schnell beseitigen könnte. Unter den ehemaligen Häusern und Schutt sind noch Leichname und das Eigentum einzelner Familien. Mit Recht wird das nicht einfach mit schwerem Gerät weggebaggert. Es waren eben nicht einfache Blechhütten in denen ohnehin nichts Wertvolles war. Manche Besitztümer müssen identifiziert werden. Manch einer entdeckt ein paar hundert Meter entfernt sein Familienalbum z.B. Darin sind die Bilder der in der Flut für immer verschwundenen Angehörigen wie Vater, Mutter, Geschwister usw. Wenn sie ohnehin fast alles verloren haben, wer kann es übel nehmen, wenn sie zumindest ein kostbares Möbel oder Andenken retten wollen. Und man sollte bedenken, dass ein Küstenstreifen von 600 km Länge mit mittelgroßen Städten betroffen ist. Man ist nun fieberhaft dabei, Behelfswohnungen und Container zu bauen, um den Menschen ein Minimum an Privatleben zurückzugeben, die bislang zusammengepfercht in Turnhallen ihr Dasein fristen.
Das 3. Ziel ist Soma-City ca. 50km nördlich von Fukushima 1. Dort im Rathaus arbeitet meine entfernte Verwandte. Soma hat viele „Atom-Flüchtlinge“ aus Süden, die aber eher vernachlässigt werden gegenüber den Menschen in den Ortschaften, die total vernichtet wurden. Die Häuser dieser Menschen stehen zwar zum Teil noch, aber sie werden nicht dorthin zurückkehren können, so dass sie etwa gleich (oder schlimmer) betroffen sind wie jene, deren Häuser vernichtet wurden, abgesehen natürlich davon, dass diese oft auch den bitteren Verlust der Angehörigen verkraften müssen.
Das 4. Ziel liegt ganz im Norden. Die Hafenstadt heißt Miyako. Sie wurde völlig vernichtet. Auch hier habe ich eine Bezugsperson, die ein katholischer Pfarrer ist. Er war noch vor kurzem in der Pfarrei von Miyako tätig und arbeitet nun in der Pfarrei meines anderen ehemaligen Klassenkameraden namens Tomoichi Mitsuhashi auf der Boso-Halbinsel östlich von Tokyo. Er ist sehr aktiv in der Pfarrei, so dass er auch bei der diesmaligen Hilfsaktion eine tragende Rolle spielt.

Auf jeden Fall ist es gut, dass ich mit Ryusuke die erste Aktion mache, weil er schon Erfahrungen gesammelt hat. Es ist zwar für mich nicht das erste Mal, solche Hilfsfahrt zu organisieren – mitten im Balkankrieg habe ich mit Jürgen Dimt als meinem idealen Partner mit Mut und Besonnenheit einen Hilfstransport nach Bosnien bis 5 km vor der Kriegsfront unternommen -, aber die Situation ist diesmal ganz anders. Damals flogen die (sichtbaren) Geschosse auf die Adria-Küstenstraße noch frisch einen Tag vor unserer Fahrt, aber diesmal gibt es die unsichtbare Bedrohung durch Radioaktivität. Ryusuke hat die von den Erdbeben und Tsunami völlig vernichteten Städte und Dörfer kennengelernt, so dass ich von seinen Erfahrungen viel profitieren kann. Natürlich werde ich mich nicht ohne Not der Strahlung aussetzen. Aber es wäre für mich unverzeihliche Feigheit, die leidenden Menschen wegen evtl. drohender eigener Gefahr im Stich zu lassen. Es kocht in mir immer noch die Wut hoch, wenn ich daran denke, dass die NATO die 6000 Menschen in Srebrenica/Bosnien im Stich gelassen hat und praktisch vor ihren Augen hinschlachten ließ! Natürlich hat sie das nicht „gesehen“!!?? Hoffentlich verstehen mindestens alle meine Budo-Schüler/-innen ausnahmslos dieses mein Anliegen. Ich habe aber von meiner vergangenen Erfahrung nicht deswegen erzählt, weil ich prahlen möchte, sondern weil viele von Euch liebenswürdigerweise sehr um mich bangen. Ich wollte nur sagen, dass ich nicht ein nackter Anfänger bin und naiv handle. Der unvergessliche Spruch von Jürgen Dimt – damals sind wir mit 2 Kleinbussen gefahren, also jeder einen Bus - , als ich mich entschuldigte, dass er auf mich warten musste: „Für Dein Alter fährst Du gut.“ Ich fasse diesen Spruch so auf, dass ich, je älter ich werde, desto besser fahre.

Was wir machen können, ist trotz Eurer großherzigen Hilfe ganz gering. Es ist der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Aber auch ein winziger Tropfen ist der Anfang der Kühlung des Steins, selbst wenn jener in einer Sekunde verdampft und unsichtbar wird. Deswegen ist auch die mentale Hilfe sehr wichtig. Ich freue mich sehr, dass einige Leute schon die Kindergartenkinder und die Schüler motivieren, Ansichtskarten zu schreiben. Es muss nicht eine gedruckte Karte sein, sondern gern auch eine selbstgemalte. Diese könnt Ihr weiterhin an Ryusuke schicken oder an meine Adresse in Japan: Daishiro Nakajima, O-machi 5-4-31, Kamakura-shi, 248-0007 Japan oder an Tomoichi Mitsuhashi, Ushigome 928-1, Shirakomachi, Chosei-gun, Chiba-ken, 299-4202 Japan. Die Karten an mich müssen aber bis zum 20. Mai dort ankommen (normalerweise braucht eine Air-Mail von Deutschland nicht länger als 5 Tage.) Danach könnt Ihr weiterhin die Karten an Ryusuke oder Tomoichi schicken, weil sie langfristig für den Wiederaufbau der betroffenen Gegenden arbeiten werden. Dort ist ja längerfristige Aufbauhilfe von Nöten. Deswegen kann auch die Spende dauerhaft sein. Was in unsere Konten eingeht, wird auch nach meiner Rückkehr ihnen zu Gute kommen.
Übrigens ist die Konto-Nr. von Ryusuke – falls jemand ihm direkt Geld senden möchte - wie folgt: Ryusuke Okano, Konto-Nr. 4136241, Filialnr. 353 (unbedingt nötig), Mizuho Bank, Shinjuku Nishiguchi Filiale. Dies ist sein Spendenkonto, aber kein öffentlich anerkanntes. Deswegen kann es keine steuererlassfähige Bescheinigung geben. Dass das Geld in guten Händen ist, ist trotzdem sicher. Ryusuke nennt sich Environmental activist, also Umweltaktivist. Er ist 35 Jahre alt und seine Jobs (z.B. Barkeeper) sind dafür da, dass er die Umweltaktion durchführen kann. Sein Traum ist die ganze japanische Küste zu Fuß zu bereisen, während er die Strände reinigt, wenn er eben nicht mit der Katastrophenhilfe beschäftigt ist. (Er hat schon einige hundert Kilometer erlaufen!) Seine Homepage lautet: www.bcwalk.com
Am Ende danke ich Euch allen für Eure wunderbare Hilfe noch einmal. Der Himmel wird Eurer reichlich gedenken.

Viele liebe Grüße Michael Daishiro Nakajima

Info 2

Vom 27. 03. 2011

Hallo zusammen,

vielen herzlichen Dank für Eure Anteilnahme weiterhin. Die neueste Nachricht aus Fukushima ist leider gar nicht erleichternd. Die Wasserröhre, die direkt zum oder/und vom Schmelzofen führen, in den Reaktoren 1 und 3 mindestens (wahrscheinlich auch 2 und 4) scheinen irgendeinen Leck zu haben. So erklärt man das radioaktiv verseuchte Wasser, das plötzlich im Keller der Turbinengebäude aufgetaucht ist und durch das die Arbeiter an den Füßen gestrahlt wurden (2000 bis 6000 Mili-Sievert: Die welt-durchschnittliche natürliche radioaktive Strahlung eines Menschen im Jahr ist 2,4 Mili-Sievert: in Japan ist nur etwa 1,0 Mili-Sievert) und Verbrennung erlitten haben. Wenn sie dieses Wasser auf den ganzen Körper abgekriegt hätten, wäre die Todesrate 50% gewesen!)
Die Menschen besonders in der Präfektur Fukushima sind stark betroffen. Nicht nur, dass sie vom nahen Umfeld fliehen müssen. Die Bauern können die Gemüse nicht verkaufen und die Fischer können ihre Fische nicht absetzen.
Aber die Menschen im "Nur"-Tsunami-Gebiet leben auch in äußerster Not. Das Ausmaß der Katastrophe ist allzu groß, als man - wie manche Journalisten im Ausland - locker sagen könnte, "Japan ist reich genug, um selbst Herr der Lage zu werden". Man braucht auch Monate, um die Städte und die Dörfer wieder einigermaßen aufzurichten.
Ich habe bis jetzt überlegt, wie ich ihnen am effektivsten und konkretesten helfen könnte. Natürlich ist es nicht verkehrt, wenn man an das Rote Kreuz oder an die Caritas spendet. Aber was im Moment noch wichtiger ist, ist die Überlegung, wie man diese Spendengelder konkret an den Mann und die Frau bringen könnte. Die Zufahrtswege sind immer noch nicht leicht zu fahren. Es gibt oft keine Elektrizität. Es ist kalt und manche haben keine Duschmöglichkeit und kein warmes Essen. 
Bis jetzt habe ich Leute gesucht, die mir direkt oder indirekt bekannt sind und die direkt betroffen sind oder eine Hilfsaktion durchführen. Ich habe auch daran gedacht, selbst zur Hilfe zu eilen. Die bisherigen Internet-Angaben über die freiwilligen Helfer/-innen waren aber zwiespältig. Mal heißt es, dass man die Helfer durchaus gebrauchen kann und mal heißt es, dass man keine gebrauchen kann, aus welchem Grund auch immer. Nun kam eine unerwartete Gelegenheit für mich. Der Anlass ist eigentlich gar nicht erfreulich. Denn meine Stiefmutter ist vorgestern 24. März gegen 20.00 Uhr (in unserer Zeit) im Krankenhaus gestorben, wo sie lange stationiert war. Zur Einäscherung, die schon gestern stattfand, hätte ich ohnehin nicht anwesend sein können. Es gibt aber die sogenannte 49.-Tag-Feier im Buddhismus. Man sagt, dass die Seele einer/eines Verstorbenen an diesem Tag endgültig die Erde verlässt und dass ihr zukünftiger Zustand an diesem Tag entschieden wird. Deswegen kommen die Verwandten und die Freunde zusammen und beten für sie. Heutzutage wird diese Feier meistens an das Wochenende gelegt, damit viele sich daran teilnehmen können. Aber der Tempel hat nicht immer so viele Termin-Kapazität, so dass man manchmal relativ früh diese Feier veranstaltet, so wie dies auch bei meinem Stiefvater letztes Jahr der Fall war (nur 30 Tage nach seinem Tod).  Jedenfalls muss sie logischerweise vor dem 49. Tag stattfinden. 
So werde ich bald nach Japan fliegen. Neben der Familienangelegenheit werde ich auch um die Tohoku (Nord-Ost-Gebiet)-Hilfe kümmern. Denn ich habe erfahren, dass einer der besten Freunde meines dritten Sohnes Franziskus, Ryusuke Okano, wohnhaft in Kamakura - meiner Heimatstadt und etwa 60km südlich von Tokyo - selbst die Hilfsgüter in das Katastrophengebiet bringt .  Ich habe ihn letztes Jahr selbst kennengelernt und war von ihm sehr angetan. Besonders beeindruckend waren sein Ideal des Weltfriedens und die Liebe zur Natur. Durch seine Aktion der Strandreinigung ist er auch in die dortigen Medien gekommen. Er nimmt seinen selbstgebastelten Anhänger, wandert hunderte von km an verschiedenen Stränden und sammelt Müll. Er selber lebt bescheiden durch verschiedene kleine Jobs, und sein Hobby ist Wellen reiten (surfen). Er ist sehr freundlich und herzlich. Ich habe mich nun entschieden, ihn in der jetzigen Katastrophenhilfe zu unterstützen. Er war schon einmal im nördlichen Katastrophengebiet und hat den Menschen dort geholfen. Nun kam er kurz nach Kamakura zurück, um erneut dorthin zu fahren. Schon bevor ich von seiner jetzigen Aktion hörte, dachte ich sofort an ihn, als ich von der Katastrophe hörte. Ryusuke würde das machen! Und so war es auch! Er ist ein hundertprozentig vertrauenswürdiger Mensch. Ich werde mit ihm in irgendeiner Form zusammenarbeiten.
Es wäre schön, wenn Ihr uns finanziell unterstützen könnt. (Einige haben mich schon gefragt, ob sie den Menschen im Katastrophengebiet konkret helfen könnten.) Ryusuke versprach mir, bald sein Konto mir mitzuteilen, wenn er wieder in Kamakura zurückgekehrt ist. Jeder kann natürlich das Geld in sein Konto überweisen, aber in diesem Fall wird die Überweisungsgebühr unverhältnismäßig hoch, so dass es klüger wäre, wenn ich das Geld sammle und ihm überweise oder aushändige oder mit dem Geld selbst Hilfsgüter kaufe und transportiere. Ich stelle eine meiner Ing-DiBa-Konten zur Verfügung (Daishiro Nakajima, Konto-Nr. 5502332860, BLZ 500 105 17, Ing-DiBa).
Damit kein Misverstädnnis aufkommt, schreibe ich hier klar: Meinen Flug und Lebensunterhalt dort zahle ich selbst. Die ganzen Spendengelder werden für die Hilfsaktion verwendet. Auch von Ryusuke habe ich die Versicherung, dass er das tut. Und - wie gesagt - ich vertraue ihm ganz und gar!
Allerdings könnte mit der Spendenbescheinigung etwas schwierig werden, weil wir keine offizielle Hilfsorganisation sind. Deswegen sollten diejenigen, die die Spendenbescheinigung unbedingt haben wollen, eher an eine große Hilfsorganisation spenden. Ich möchte Ryusuke und mich auch nicht zusätzlich damit belasten, detaillierte Abrechnungen für die Hilfsgüter zu erstellen. Einen groben Überblick über das verwendete Geld werde ich natürlich veröffentlichen. Aber es wäre ganz kontraproduktiv in dieser dringenden Notlage, Zeit und Energie für die genaue Abrechnung verwende.
Ryusuke schreibt: "Das Katastrophengebiet befindet sich wirklich in einer schrecklichen Lage. Vor meinen Augen öffnete sich eine irreal aussehende Szene wie im Alptraum. Vielen Dank für das Angebot der Spende. Ich bin wirklich sehr bewegt von der Tatsache, dass die Menschen in der ganzen Welt im Begriff sind, eins zu werden. Obwohl es schon ironisch ist, dass die Welt durch die Naturkatastrophe meinem Ideal einen Schritt näher gekommen ist, bin ich aber allen vom Herzen dankbar. Ihre Spende werde ich in meiner ganzen Verantwortung dem Katastrophengebiet zu Gute kommen lassen. Bitte helfen Sie mit."
Anschließend bittet er darum, eine Ansichtskarte zu schicken, mit den ermutigenden Worten - auch nur ganz kurz. Er möchte sie zu den Menschen im Katastrophengebiet bringen und sie ermutigen. Seine Adresse lautet: Ryusuke Okano, O-machi 4-13-25, Kamakura-shi, 248-0007 Japan. Als Anhang werde ich einige japanischen Wörter zusammenstellen, die passend sind und die Ihr abschreiben könnt, wenn Ihr wollt. Ihr könnt auch eigene kurze englische Worte schreiben.
Die Konto-Angaben von Ryusuke Okano werden noch nachgeliefert.
Vielen herzlichen Dank für Eure Hilfsbereitschaft schon im Voraus! Michael Daishiro Nakajima, Dipl. theol.

Info 1

vom 27. 03. 2011

Hallo zusammen,

in diesen Tagen erlebe ich so viel Solidarität und Mitgefühl von Euch und anderen Menschen hierzulande. Dafür danke ich Euch und allen sehr herzlich! Das tut mir wirklich gut. Obwohl alle  Verwandten und die meisten Freunde und Bekannten von mir in und um Tokyo herum wohnen und von Erdbeben und Tsunami fast gänzlich verschont geblieben sind, kommt mir keine richtige Freude auf, wenn ich an das Elend so vieler Menschen denke. Im Moment ist die fürchterliche Lage der drei Reaktoren in Fukushima ein Riesendrama, wie Ihr wisst. Wenn es schlimmer kommt - und das befürchte ich - sind nicht nur meine Verwandten und Freunde mehr oder weniger direkt betroffen, sondern wohl 10 Millionen Menschen in Tokyo und in der Umgebung. Man kann sie alle unmöglich irgendwohin evakuieren. 
Es bleibt nur noch das Gebet, wie man in solcher Situation so sagt. Aber ein echtes tiefes Mitgefühl verwandelt "automatisch" (d.h. vom Wesen des Menschen her) in das Gebet, und solches Gebet ist eine echte geistige Energie. Wenn im schlimmsten Fall der Super-GAU nicht zu verhindern ist, dann dass es mindestens nicht regnet! 
Für Eure weitere Solidarität mit meinen Landsleuten danke ich Euch schon im Voraus sehr herzlich!

Bitte verzeih mir, wenn ich nun nicht mehr allen einzelnen Leuten, die mir so liebe Zeilen geschickt haben und schicken, antworten kann, weil deren Zahl sehr gestiegen ist. Trotzdem freue ich mich sehr darüber und -rauf und werde ich an sie alle denken und vom Herzen "Vergelt's Gott" wünschen.

Mit herzlichen Grüßen 

Das Meer ist normalerweise lieb und schön. (Enoshima)