Mi. 20. 04. 2011 ab 9.04 Uhr Ortszeit (2.04 Uhr nachts in D)
Endlich habe ich eine günstige Netsverbindungsmöglichkeit herausgefunden und gestern ein „Pocket WiFi“ von Softbank gekauft, damit ich zu Hause in Ruhe schreiben kann. Allerdings ist diese Verbindung noch nicht optimal.
Auf die Gefahr hin, dass ich manches vielleicht wiederhole, schreibe ich über meine Aktivitäten. Denn ich muss jede freie Minute benutzen und kann nicht lesen, was ich schon geschrieben habe. Dabei ist meine Gedächtniskraft nicht mehr, was sie früher war :-).
Allen, die mir eMail schreiben, muss ich mich entschuldigen, denn diese Schwierigkeit mit der Nets-Verbindung und sehr viele Aufgaben hier erlauben mir nicht, häufig zu schreiben. Ich vertrete das Prinzip, „erst tun und später schreiben“.
Wie viele von Euch schon wissen, kam ich aus zwei für mich wichtigen Gründen hierher: Tod meiner Stiefmutter und Katastrophenhilfe. Wenn es um den ersteren geht, muss ich mich um das Haus und darum, was meine Stiefeltern hinterlassen haben, und um die Behördengänge allein kümmern, weil mein Halbbruder körperlich stark behindert ist. Gestern war ich bei ihm in Tokyo, die Möbel so zusammengerückt, wie er wollte, und führte ihn auf dem Rollstuhl zum Augenarzt. Das alles mache ich gern, aber ich wollte sagen, dass ich nicht so oft zum Schreiben komme, damit Ihr Geduld habt.
Übrigens schreibe ich weiterhin mit der Du- bzw. Ihr-Form, obwohl es scheint, dass mittlerweile viele, die ich nicht persönlich kenne, meinen Bericht zu lesen. Denn es ist nicht nur mühsam sondern auch unschön, jedesmal „Ihr/Sie“ oder „Euch/Sie“ zu schreiben mit der dazugehörigen Schrägstrich-Verdoppelung der Verb-Endungen. In dieser Hinsicht ist das Japanisch etwas leichter.
Bevor ich über unseren Besuch in Soma weiterschreibe, möchte ich einige Informationen vorschicken, weil viele danach fragen:
Dieses Jahr ist es in Japan etwas kühler als sonst. Deswegen waren die Kirschblüten auch verspätet, was mein Glück war. Am Ankunftstag konnte ich die vollen Blüten noch genießen, auch wenn schon einige grünen Blätter zu sehen waren. Draußen ist es in Kamakura etwa 12 bis 14 Grad Celsius am Tag. Gestern wehte abends kalter Wind. Die armen Leute in Tohoku (Katastrophengebiet) hatten schon wieder Schnee! In Soma waren die Kirschblüten voll im Gange. Die Natur bringt die Zerstörung, die Natur bringt die Pracht!
Von Kamakura bis Soma ist die Straßen-Entfernung etwa 450 km, in der Luftlinie vielleicht 320 km. Wir brauchen etwa mehr als 6 Stunden einfach. Heute wäre ich eigentlich auch mit nach Soma gefahren, um für die Leute in den Flüchtlingslagern „Takoyaki“ zuzubereiten und zu verteilen. Takoyaki ist ein kugelig zubereitetes Pfannen-Gericht mit Oktopus-Stücken darin. (Tako = Oktopus) Aber das Auto war schon voll mit jungen Helfern, so dass ich ihnen Vortritt ließ. Das war nicht schlecht, weil ich nun Euch schreiben kann und andere organisatorischen Dinge erledigen kann. Gestern nacht habe ich wieder nur 3 Stunden geschlafen, bin aber nicht ganz kaputt. Der Adlinarin-Stoß ist wohl sehr hoch.
Ryusuke fährt regelmäßig mittwochs und samstags nach Soma. Mal ist es hauptsächlich Arbeitseinsatz, mal Hilfsgütertransport. Am letzten Samstag waren sie kombiniert. Der Grund, warum er dorthin fährt, ist eine Bezugsperson, Frau Niizuma, die ein soziales Projekt für Äthiopien unternimmt, das „Fûtaro no Mori“ heißt. Fûtaro ist der Name einer kleinen Eule, die sie dort auf der Reise gefunden hat, und „Mori“ ist das jap. Wort für Wald. Sie fand eine kleine Eule verloren in der Gegend und wollte sie wieder in den Wald zurückgeben. Sie fand aber längere Zeit keinen Wald, so dass sie mit Fûtaro 10 Tage lang herumgereist ist. Endlich hat sie einen Wald gefunden und Fûtaro dort freigelassen. Das war der Anlass, dass sie angefangen hat, in Äthiopien Bäume zu pflanzen. Es gibt in Soma nun einen Freundeskreis für dieses Projekt, dessen einige Mitglieder auch von Tsunami attackiert wurden. Ryusuke hat sie kennengelernt, als er den Strand von Soma reinigend gewandert ist. So kann Frau Niizuma am Ort wohnend sagen, wer die Hilfe braucht. Es ist logisch, dass die Mitglieder, die sie unterstützen, zuerst daran kommen. Aber so haben wir einen konkreten Anhaltspunkt für die Hilfeleistung.
Im Rathaus von Soma arbeitet, wie gesagt, die Schwester des Mannes meiner Nichte, namens Asako Kida. Ich habe mit ihr dort nur einen telefonischen Kontakt gehabt, weil wir ganzen Tag beschäftigt waren und weil ich an die Mitfahrer gebunden war. Ich werde aber diesen Kontakt stärken, um noch effektivere Einsatzmöglichkeiten zu finden.
Das Binnenmeer heißt übrigens „Matsukawa-Ura“. Es hat – ganz grob gesagt – eine auf den Kopf gestellte L-Form. Man sollte „L“ rechts oder links herum 180 Grad drehen. Dann ist die Eckkante von „L“ rechts oben. Die beiden Striche sollte man dann verdicken und sie als Wasser betrachten. Am äußeren Rand des Senkrechtsstrichs ist ein ganz schmales Landstreifen, das das Binnenmeer vom großen Meer trennt. Oberhalb des kurzen Strichs gibt es eine Halbinsel, wo es das zweitgrößte Wohnviertel von Soma liegt. Jenseits dieser Halbinsel (Nordseite) ist wieder das große Meer. Es gab nur eine offene Stelle zum großen Meer in diesem Nord-Strich vom umgekehrten „L“. Sie ist etwa 1/3 von der Eckkante entfernt und von einer großen Brücke verbunden. Die Welle soll über diese Brücke übergeschwappt zu sein. Aber schlimm betroffen war der lange und schmale Nord-Süd-Landesstrich, der wie ein Mauer gegen das große Meer aussah. Tsunami hat nicht nur über dieses Landesstreifen übergeschwappt, sondern es für die Länge von 200 bis 250 m südlich von der Eckkante von „L“ unter sich begraben, so dass man diesen Teil nun als eine Lücke sieht. Deswegen wurde die Süd-Seite der Halbinsel stark betroffen, wo Minato Hoikuen (direkt übersezt: Hafen Kinderhort) fast am Ende des kurzen Strichs von „L“ liegt (vom großen Meer gesehen am weitesten hinten). Es war ein Riesenglück, dass er etwa 4 m höher als die Wasseroberfläche lag und nicht von vorne die Welle bekam.
Nun, nachdem wir die Sachen, die Ryusuke vorbereitet hat, im Kinderhort abgegeben haben, fuhren wir die Südseite der Halbinsel zunächst nach Osten (Richtung Eckkante vom umgekehrten „L“), um vor der Brücke nach Norden abzubiegen. Zunächst ging die Straße relativ steil hoch, so dass ich sehr erstaut war, dass es auch in der äußersten Höhe (etwa 25 m vom Meeresspiegel) zerstörte Häuser gab. Die Rätselslösung kam prompt, als wir noch 20 m weiterfuhren und auf der Höhe des Hügels angelangt waren. Da sah ich die völlige Zerstörung der Nordseite der Halbinsel. Es gab praktisch nur ein Haufen von Schutt und Schlott in der Größe von 800m x 450m. Man hat nur zwei Straßen frei gemacht. Eine geht dem großen Meer entlang und eine biegt nach Süden zu den Hügeln, wo die Wellen etwa 50m vor dem Haus von Frau Niizuma zum Stehen kamen. Es gab Warnungen, aber die Leute betrachteten diese als nicht so schnell bedrohlich. Sie kamen allmählich (sozusagen gemütlich) zu Fuß hoch in die Richtung vom Haus von Frau Niizuma. Ein Dutzend Leute wollten auf einem kleinen Hügel die Wellen sehen. Sie wurden schließlich von den Wellen erfasst.
Als wir gegen 9 Uhr am Haus von Frau Niizuma ankamen, haben wir sie nicht getroffen, so dass wir zu Fuß nach unten zum zerstörten Gebiet gelaufen sind. Ich wollte das alles auch mit einem Photoapparat und einem Videocamera fest dokumentieren, damit Ihr seht, wofür Ihr Hilfe geleistet habt und noch leistet. Übrigens hat unsere liebe Pfarrsekretärin, Frau Brigitte Schlander, sozusagen als die erste Portion schon über 22-tausend Euro in das Konto der hiesigen Kirche von Mobara überwiesen, das mein ehemaliger Schulkamerad Tomoichi Mitsuhashi für den Pfarrer verwaltet. Ein Drittel des Geldes wird jeweils Ryusuke und mir weitergeleitet und ein restliches Drittel verwendet Tomoichi Mitsuhashi für seine Tohoku-Hilfe, an der ich mich auch beteilige. Allerdings scheint die Hilfe in Miyako nicht zustande zu kommen, so dass Herr Mitsuhashi nun an Sendai denkt. Ich danke allen Spenderinnen und Spendern noch einmal sehr herzlich für diesen Einsatz für meine Landsleute.
Nun fotografierend und filmend wanderten wir an den zerstörten Häusern unten, wo ein Bagger gespenstisch und verloren den Schutt zu beseitigen versucht. Von unten sehen wir zwei Friedhöfe am Hang des Hügels. Das Wasser kam bis dorthin hoch. Einige Grabsteine wurden von der Welle fallen gelassen. Es sollen auch einige Leichname angeschwommen zu sein. Das ist wahrlich ein makabeles Bild. Im Großen und Ganzen sind die Friedhöfe wie der letzte Wall stehengeblieben, während viele unterhalb derer ihr Leben verloren haben.
Das Beeindruckenste an diesem ganzen Tag geschah danach. (Fortsetzung folgt)
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